„Zeit ist Hirn“

Diese plakative Aussage steht auf der Rückseite des neuen Buchs des Theaterschauspielers und Autors  Joachim Meyerhoff.

In seinem Roman „Hamster im hinteren Stromgebiet“ beschreibt er eindrücklich die Entstehung und den Verlauf des Schlaganfalls, der ihn vor zwei Jahren ereilte.

Dass vergleichsweise nur geringe Probleme zurückgeblieben sind und es ihm deshalb möglich war, sein Erleben und Empfinden schriftlich festzuhalten, verdankt er der Tatsache, dass er und seine Familie die im Titel genannte Aufforderung beherzigt haben: Er wurde relativ schnell in eine Klinik gebracht, so dass zeitnah eine sogenannte Lyse-Therapie eingeleitet werden konnte. Durch diese Behandlung kann das entstandene Blutgerinnsel aufgelöst werden, so dass die betroffenen Hirnbereiche wieder abschwellen und die eingeschränkten Funktionen sich erholen. Inzwischen probt Joachim Meyerhoff sogar wieder an der Berliner Schaubühne für das Stück „Das Leben des Vernon Subutex 1“, das im nächsten Monat Premiere haben wird.

Wer die früheren Bücher von Meyerhoff kennt, kann sich denken, dass es ihm auch im aktuellen gelingt, die eigentlich dramatische Erfahrung der Insult bedingten, plötzlichen Einschränkungen mit einer Prise Humor zu erzählen (wie schon der Titel erkennen lässt). Aus diesem Grund ist die Lektüre trotz des eher ernsten Themas außerordentlich leicht. Abgesehen davon sind die Beschreibungen der Folgen und des Umgangs (mit) seiner Erkrankung  sprachlich so kreativ, dass beim Leser ein tieferes Verständnis für die einschneidenden Folgen eines solchen Schicksalsschlages entsteht.

Obwohl sich bei ihm alle Symptome rasch und fast vollständig wieder zurückgebildet haben, bleibt ein generelles Gefühl der Verunsicherung und ein Bewusstsein dafür, verletzlich zu sein. Diese Erkenntnis zwingt ihn zu einer Reflexion und lässt ihn das hohe Tempo seines bisherigen Lebens reduzieren. Inwieweit sich das mit seiner Existenz eines Schauspielers vertragen kann, der Abend für Abend an und über seine Grenzen hinausgeht, um in seiner Rolle überzeugen zu können, bleibt abzuwarten.

Beim Lesen drängte sich mir natürlich immer wieder der Gedanke  auf, um wieviel gravierender Menschen ihren Schlaganfall erleben müssen, wenn sie bleibende Einschränkungen z.B.  in Form von Halbseitenlähmungen und/oder Sprachstörungen dauerhaft zurückbehalten. Sei es, weil die verursachende Hirnläsion ausgeprägter war oder weil sie eben nicht schnell genug reagiert, sondern die ersten Symptome bagatellisiert haben.

Deshalb soll an dieser Stelle an den FAST-Test erinnert werden, mit dem sich innerhalb kürzester Zeit der Verdacht auf einen Schlaganfall überprüfen lässt. Hinter der Abkürzung stecken die englischen Bergriffe „Face-Arms-Speech-Time“:

Face: Hängt ein Mundwinkel herab, kann das auf eine Halbseitenlähmung hinweisen

Arms: Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt oder dreht sich.

Speech: Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt das Sprechen verwaschen, liegt vermutlich eine Sprach-und/oder Sprechstörung vor.

Time:  Zögern Sie nicht, wählen Sie unverzüglich die 112 und schildern Sie die Symptome!

Weitere Informationen: https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/verstehen-vermeiden/schlaganfall-erkennen/fast-test

P.S. Alternativ oder zusätzlich zur Lektüre des Buches ist das Interview mit Meyerhoff im ZEIT-Magazin No. 36 vom 27.08.2020 zu empfehlen.

Foto: Der kleine Hamster „Hagrid“ würde nie auf die Idee kommen in Hirnstromgebieten sein Unwesen zu treiben…

Veröffentlicht von Norbert Frantzen

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