Dieser Titel eines Artikels von Petra Schellen in der taz nord machte mich hellhörig (gibt es ein entsprechendes Wort für visuelle Wahrnehmungen z.B. „helläugig“ oder „hellsehig“?), weil ich vermutete, es würden in dem Text sprachliche Auffälligkeiten beleuchtet, die viele logopädische Patienten zeigen. Aber schon der Blick auf die ersten Zeilen zeigte mir, dass auf die Kunstausstellung „Mühsam ernährt sich das Einhorn“ von Kathrin Sonntag hingewiesen wurde, die noch bis zum 30.12.2011 im Kunstverein, Hamburg zu sehen ist. In einer Dia-Installation nimmt die in Berlin lebende Schweizer Künstlerin Versprecher unter die Lupe, die sie teilweise frei erfundenen hat. Die sprachlichen Verdrehungen, Verwechslungen, Vertauschungen (z.B. Treibholzeffekt, schriftlose Kündigung, Perlen vor die Säule werfen) wurden auf post-it-Zetteln festgehaltenen und zusammen mit teils skurilen Fotos an die Wand projiziert. Als Betrachter ist es oftmals nicht immer sofort erkennbar, welche Fehler sich da versteckt haben, so dass interessante Momente der Verunsicherung entstehen und die Wortneuschöpfungen lösen natürlich auch immer wieder ein Schmunzeln aus. Kathrin Sonntag versucht in ihrer Ausstellung sprachliche Konventionen zu hinterfragen und die sprachliche Welt jenseits der Grenze der bekannten Worte zu beleuchten.

Und damit berührt sie (vermutlich ungewollt) auch die Logopädie, insbesondere die sprachlichen Besonderheiten aphasischer Menschen. Denn auch hier kommt es zu lautlichen Abweichungen oder Bedeutungsunschärfen, die zwar einerseits gegen die Regeln der deutschen Sprache verstoßen, aber andererseits häufig ein hohes Maß an Originalität aufweisen (z.B. Elektrokältegehege, Eiergarten, Tiefkühltreffpunkt uvm.).  Eine Patientin brachte diesen wohlwollenden Blick auf aphasische Sprache zum Ausdruck, indem sie ihre Äußerungen als „aphasisch wertvoll“ bezeichnete (wobei erwähnt werden muss, dass sie das mit einer Portion Ironie tat, da verständlicherweise die Verzeiflung über die Grenzen der Ausdruckmöglichkeiten bei den Betroffenen jederzeit präsent ist.)

Wer nach oder anstatt der Ausstellung Lust hat, das Thema Versprecher zu vertiefen, kann das in unterhaltsamer Form mit Hilfe der Bücher „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ und „Danke und Tschüs für´s Mitnehmen“ der Linguistin Helen Leuninger tun.

Veröffentlicht von Norbert Frantzen

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert