Logopädie und Akademisierung oder das Runde muss ins Eckige

Allen aufmerksamen LeserInnen unserer Seite (die es hoffentlich gibt) wird aufgefallen sein, dass der Artikel „Von Lippenblütlern…“ vom 17.01.13 mit dem Versprechen endete, zu einem späteren Zeitpunkt genauer zu beleuchten, was die Fußballweisheit „Das Runde muss ins Eckige“ für die Logopädie bedeuten könnte. Nicht gemeint ist eine spielerische Methode, um Kinder mit Aussprachestörungen oder Sprachentwicklungseinschränkungen für logopädische Übungen zu begeistern. Stattdessen geht es um die Frage, ob und wie sich die bisherige dreijährige Fachschulausbildung und ein (Fach-)Hochschulabschluss miteinander verbinden lassen. Bereits seit der Entwicklung des Berufsgesetzes über den Beruf der LogopädIn/des Logopäden anno 1980 waren die Eingangsvoraussetzungen ein umstrittenes Thema: während die Vertreter unseres Berufsverbandes die allgemeine Hochschulreife als Zulassungskriterium unerlässlich fanden, setzte sich der Gesetzgeber mit seiner Haltung durch, den damals existierenden sogenannten Bildungsnotstand dadurch zu berücksichtigen, dass ein mittlerer Schulabschluss zur Teilnahme an der Logopädieausbildung ausreichen sollte. Inzwischen stimmt die Wirklichkeit nicht mehr mit dieser formalen Regelung überein, denn ein sehr hoher Prozentsatz der Bewerberinnen und damit auch der Absolventinnen der Ausbildung hat die Abiturprüfung abgelegt. Das erscheint sinnvoll, weil die Ausbildungsinhalte aufgrund der Weiterentwicklungen in den Grundlagenfächern und auch durch neue Erkenntnisse in logopädischen Fachgebieten zunehmend komplexer und anspruchsvoller geworden sind. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass sich der Deutsche Bundesverband für Logopädie (dbl) weiterhin verstärkt dafür einsetzt, die Logopädieausbildung zu akademisieren. Neue Nahrung bekam diese Forderung seitdem im Zusammenhang mit dem sogenannten Bolognaprozess eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse innerhalb Europas anstrebt wird, denn in fast allen anderen europäischen Ländern ist die Logopädieausbildung auf (Fach-)Hochschulniveau angesiedelt. Spätestens nachdem auch der deutsche Wissenschaftsrat empfiehlt, dass LogopädInnen – zumindest ein bestimmter Prozentsatz der Absolventen – einen akademischen Abschluss haben sollten, ist viel Bewegung in die Landschaft der Fachschulen und (Fach-) Hochschulen gekommen. Deshalb gibt es inzwischen zahlreiche Möglichkeiten das Berufsziel Logopäde/Logopädin zu erreichen:

– in altbewährter Form die dreijährige Ausbildung zu durchlaufen und nach dem Staatsexamen zu arbeiten (und vielleicht nach dem Sammeln von Berufserfahrung ein berufsbegleitendes Studium -ggf. auch im Ausland- zu beginnen) oder

– schon parallel zur Ausbildung einzelne Module eines Studiengangs zu belegen, der nach der Examensprüfung noch fortgesetzt wird und in einen Bacheolorabschluss mündet oder

– den Beruf der Logopädin in einem grundständigen Studium  zu erlernen.

Die Schule für Logopädie in Kiel bietet wahlweise die erste und in Kooperation mit der Medical School Hamburg (MSH) auch die zweite Option an.

Es bleibt abzuwarten, wie sich in den nächsten Jahren der Akademisierungstrend fortsetzen wird. Aufgrund der Bildungshoheit der Bundesländer ist jedoch wahrscheinlich, dass es auch weiterhin nicht zur Etablierung eines einheitlichen Studiengangs kommen wird. Erschwerend käme hinzu, dass eine generelle Anhebung des Abschlusses verbunden sein würde mit einer – eigentlich natürlich wünschenswerten und absolut überfälligen (vgl. equal pay Artikel)- höheren Vergütung, die in Zeiten von Budgetierungen und Verknappungen von Mitteln im Gesundheitswesen jedoch eher unrealistisch zu sein scheint.

Egal in welche Richtung sich die Logopädie entwickeln wird bleibt zu hoffen, dass das besondere Qualitätsmerkmal der jetzigen Form der Logopädieausbildung erhalten bleiben wird: die Rede ist von den umfassenden praktischen Anteilen innerhalb der dreijährigen Schulzeit. Dadurch wird es den Auszubildenden ermöglicht, erste Erfahrungen im Umgang mit Patienten zu sammeln und logopädische Methoden in den einzelnen Störungsbildern zu erlernen. Das alles kann unter der engen Supervision der LehrlogopädInnen stattfinden, die auch die theoretische Ausbildung gestalten und so die SchülerInnen in allen Bereichen erleben und begleiten können. Und ist es nicht gerade die dadurch mögliche Entwicklung einer therapeutischen Persönlichkeit, die für die späteren Patienten einen unschätzbaren benefit bedeutet!?

Insofern kann allen Entscheidungsträgern nur ein großes Geschick dabei gewünscht werden, die bisherigen inhaltlichen Vorteile in neue formale Strukturen einzupassen, ähnlich guten Fußballern, die den Ball gefühlvoll in den Kasten zirkeln. Damit es am Ende wirklich 1:0 für die Logopädie (und für unsere Patienten) heißt und sich eine vorschnelle Verwissenschaftlichung unserer Profession nicht als  Pyrrhussieg entpuppt.

 

Veröffentlicht von Norbert Frantzen

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